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Utopien: Die fernen Ideale

Utopien und Ideale sind die unerreichten Ziele, die uns seit Menschengedenken dazu antreiben, über uns selbst hinauszuwachsen.

Ideale

„Utopien und Ideale sind perfekt dazu geeignet, uns zu motivieren.“

Trotz aller Bemühungen bleiben die Ideale meist unerreicht. Diese Eigenschaft macht sie ja zu Utopien, wie bereits im Wort selbst steckt: Der Begriff kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Nicht-Ort“. Wenn also eine Utopie umgesetzt wird, endet damit ihre Existenz als Utopie, da sie zur Realität wurde, also vom Nicht-Ort in die Welt geholt wurde. Diese Transformation ist jedoch nicht der Regelfall, sondern bleibt die Ausnahme. Die Tragik der mangelnden Realisierbarkeit kann auf unterschiedliche Gründe zurückgeführt werden: Mangelnde Bereitschaft der beteiligten Gruppen, dem Ziel persönliche Interessen zu opfern, eingeschränkte technische Möglichkeiten, etc.
Während das Nicht-Erreichen unserer Ideale ein sehr großes Frustrationspotential beinhaltet, scheint sich die Menschheit von diesem permanenten Scheitern nicht abbringen zu lassen. Das Stecken unrealistischer Ziele und Formulieren unerreichbarer Ideale scheint etwas zutiefst Menschliches zu sein.

Motivator zur Entwicklung

Utopien und Ideale sind die ideellen Entsprechungen des Bedürfnisses sich weiterzuentwickeln, sich mit dem Status quo nicht zufrieden zu geben, sondern daran zu arbeiten, sich zu verbessern. Sie sind DIE Antriebsmotoren für Veränderung. Veränderung, die nicht nur auf der biologischen Ebene überlebensnotwendig ist, sondern auch kulturellen und gesellschaftlichen Stillstand verhindert.
Doch ist es wirklich notwendig, dass die Ziele unerreicht bleiben? Wäre uns nicht besser damit gedient, wenn wir anstelle von Utopien realistische Ziele formulieren würden? Ist die Frustration des Nichterreichens nicht demotivierend? Utopien scheinen als Motivatoren einzigartig zu sein.

Ideale: Ewiges Streben
Stillstand ist Rückschritt. Sowohl auf biologischer, als auch auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und technologischer Ebene müssen wir in Bewegung bleiben, um die Systeme am Laufen zu halten. Gegenüber der Biologie haben wir in unserem Entscheidungsverhalten einen massiven Vorteil: Während in der Evolution Veränderung nur ungerichtet durch Mutation stattfindet, und diese Innovationen sich erst im Selektionsprozess bewähren müssen, können wir uns zielstrebig auf Veränderungen zum Positiven fokussieren.
Die Motivation zur Veränderung ist also stets, den Status quo zu verbessern. Hier können aber die individuellen Ziele in Konflikt mit denen anderer oder der Gemeinschaft stehen. Besonders beim Umgang mit Ressourcen. Obwohl viele Menschen einen nachhaltigeren Lebensstil als erstrebenswert erachten, scheitern sie oft am Aufwand. Eine Strecke zu Fuß zurückzulegen ist anstrengender, als mit dem Auto zu fahren. Deshalb ist oft der Wille zwar da, aber die Umsetzung bleibt aus. Dies ist die Schattenseite der Utopie: Da ein umfassend nachhaltiger Lebensstil für die meisten Menschen nicht umsetzbar ist, entwickeln viele ein “Ist eh schon Wurscht”-Gefühl. Um die permanente Frustration auszuschalten, wird das Ziel schließlich völlig verworfen. Der Ausweg liegt hier im Anerkennen der vielen kleinen Schritte: Jede Entscheidung zählt und trägt zu einer Annäherung an – oder Entfernung vom – Ziel bei.

Ewiges Aufschieben

Vorsätze zu fassen ist leicht, wir scheitern aber oft daran, sie umzusetzen. Besonders wenn es sich um Dinge handelt, die wir sehr ungern tun, sind wir sehr gut darin, Gründe zu finden, warum wir sie nicht tun können.
Das Aufschieben ungeliebter Tätigkeiten wird auch als Prokrastination bezeichnet. Dies führt zu Deadline-gesteuertem Arbeiten, das mit gesteigertem Stressempfinden einhergeht, weil das Arbeiten in letzter Minute auch die Unsicherheit mit sich bringt, ob die Deadline noch eingehalten werden kann. Trotz des Wissens darum, dass weder die Qualität der Arbeit, noch die Lebenszufriedenheit davon profitieren, dass wir Dinge vor uns herschieben, ist Prokrastination weit verbreitet. Sind wir unverbesserliche Aufschieber, und können nur durch eisenharte Disziplin dieses Muster durchbrechen? Oder können wir möglicherweise diese Verhaltenstendenz in etwas verwandeln, das sich gut nützen lässt?
Der Philosoph John Perry beschrieb eine Methode, wie man die Tendenz unangenehme Dinge aufzuschieben dazu nutzen kann, Dinge konstruktiv abzuarbeiten. Er bezeichnet sie als strukturierte Prokrastination: Wir tun Dinge nicht, weil sie eine hohe Priorität – im Sinne von Wichtigkeit oder Dringlichkeit – besitzen, sondern weil sie uns einen Grund geben, andere Dinge nicht zu tun, auf die wir wirklich keine Lust haben.

Prioritäten setzen

Um strukturierte Prokrastination sinnvoll umzusetzen, beginnt man damit, eine Hierarchie der Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit zu erstellen. Dann arbeitet man all die Dinge ab, die nicht ganz oben auf der Liste stehen, und hat so das Gefühl sich etwas Gutes zu tun, weil man sich nicht der vorgegebenen Reihenfolge der Aufreihung unterwirft. Die nachgereihten Aufgaben werden auf diese Weise verlässlich und gut erledigt. Gleichzeitig werden die topgereihten Dinge allerdings weiter und weiter aufgeschoben. Das bedeutet, dass man, um diese Methode wirklich zielführend und gewinnbringend einzusetzen, idealerweise Aufgaben an die Spitze der Priorität reiht, die eigentlich nicht so dringend zu erledigen sind, beziehungsweise in ihrer Vollkommenheit nie erledigt werden können. Auf diese Weise kann man sich selbst dazu bringen, sehr produktiv viele Dinge zu erledigen. Die Stärke dieser Methode liegt darin, dass an Statt des Nichtstuns produktive Tätigkeiten treten. Dieses Vorgehen hat den positiven Effekt auf unsere Psyche, dass das Gefühl, sich etwas zu gönnen – indem man die priorisierten Tätigkeiten nicht erledigt – durch einen weiteren Eindruck ergänzt wird: All die nachgereihten Sachen, die im Rahmen des Prokrastinierens erledigt wurden, lassen das Gefühl entstehen, etwas geleistet zu haben. Darin unterscheidet sich das reine Prokrastinieren vom strukturierten: Während ersteres nur das schlechte Gewissen fördert, weil das zu Erledigende liegen geblieben ist, wird letzteres durchaus als belohnend empfunden.

Schritte zu Ideale

Utopien erfüllen eine vergleichbare Funktion wie die topgereihte Aufgabe. Sie können dazu genutzt werden, dass sie uns dazu motivieren, nachgereihte Ziele zu erreichen. Insofern ist das Nichterreichen einer Utopie, eines Ideals nicht unbedingt immer als negativ zu betrachten. Die Utopie hält uns in Bewegung, und bringt uns idealerweise diesem Ziel näher, wenn wir nach der strukturierten Prokrastination vorgehen.
Eine Utopie ist nur so lange eine Utopie, solange sie unerreicht ist. Es liegt also in ihrer Natur, dass sie als erstrebenswertes Ziel unser Tun beeinflusst, dass sie aber ein Ideal darstellt, an dem wir nie ankommen. Das Nichterreichen kann demotivierend wirken, wenn in perfektionistischem Bestreben nur das völlige Erreichen von Zielen als Erfolg gewertet wird. Nutzt man Utopien und Ideale jedoch nach der Methode der strukturierten Prokrastination, dann sind sie perfekt dazu geeignet, uns zu motivierten, Zwischenziele zu erreichen. So betrachtet sind Utopien und Ideale perfekt dazu geeignet, uns zu motivieren. Indem sie als unerreichbare Ziele ständig die obersten Plätze der To-Do-Liste besetzen, können wir uns vollen Antriebs dem Erfüllen der nachgereihten Ziele widmen. Ein zu hoch gestecktes Ziel ist also genau genommen nur zu hoch gesteckt, wenn wir seine einzige Funktion darin sehen, auch erfüllt zu werden. Wenn wir aber anerkennen, dass es darüber hinaus eine motivierende Funktion hat, ist ein vermeintlich zu hoch gestecktes Ziel gerade hoch genug.

Erfolg & Scheitern
Wie wir Scheitern und Erfolg definieren scheint oft völlig aus der Luft gegriffen. Bei Sportveranstaltungen wie bei den jüngsten Olympischen Spielen wird dies besonders augenscheinlich. Nur die ersten drei Plätze zählen als Erfolge, ein vierter Platz ist bereits ein Scheitern. Für die einzelnen Teilnehmer kann es jedoch bereits ein Riesenerfolg sein, überhaupt bei den Spielen dabei zu sein, oder, wenn es sich um einen Favoriten handelt, kann selbst eine Silbermedaille als Scheitern wahrgenommen werden.
Wie wir Erreichtes beurteilen, hängt also nicht von objektiven Maßstäben ab, sondern von unseren Erwartungen. Diese subjektive Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen entscheidet auch darüber, ob Utopien für unser Dasein förderlich sind, oder ob das permanente Nicht-Erreichen der Utopie zu einer derartigen Frustration führt, dass wir es gar nicht mehr versuchen.
Die Kunst, Utopien möglichst optimal zur Motivation zu nutzen scheint darin zu liegen, sie nicht nur zum Erreichen von Zwischenzielen zu nutzen, sondern diese Erfolge auch als solche zu feiern. Das aktuelle Frauenvolksbegehren illustriert die Licht- und Schattenseiten der Utopie: Der Forderungskatalog beinhaltet einzelne hoch gesteckte Ziele, die als utopisch bezeichnet werden und von manchen als Grund genannt werden, warum sie es nicht unterzeichnen. Von den Initiatorinnen wird jedoch angeführt, dass die Ziele unter anderem deshalb so hoch gesteckt sind, damit eine Diskussion überhaupt stattfindet.
Der aufgeklärte Zugang zu Utopien ist der Versuch, möglichst nahe an sie heranzukommen. Ein Abtun ihrer als unerreichbar führt zur Untätigkeit und verurteilt zum Scheitern. So mag eine Olympiateilnahme zwar nicht mit einem Sieg enden, wer aber gar nicht an den Spielen teilnimmt, hat schon verloren.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Elisabeth Oberzaucher

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