Seit Ende April 2021 gilt in der EU das „Tiergesundheitsgesetz“ (Animal Health Law, AHL). In dieser Verordnung 2016/429 hat die EU zahlreiche Regelungen zur Gesundheit von Tieren zusammengefasst und einige Bestimmungen zur Seuchenabwehr verschärft. Bei den Umwelt- und Naturschutz-Organisationen hält sich die Begeisterung in Grenzen.
„Das Animal Health Law (AHL) dient nur dazu, den unsäglichen Handel mit Nutz- und Heimtieren, Reptilien und Wassertieren weiter möglich zu machen“, beklagt zum Beispiel der Agrarwissenschaftler Edmund Haferbeck. Er leitet bei der Tierschutzorganisation PeTA die Rechts- und Wissenschaftsabteilung. Dennoch hofft er wie andere Tierschützer auf weitere Einschränkungen des Handels mit lebenden Tieren, insbesondere mit Welpen. Für einen besseren Tierschutz.
Züchter und Händler bieten auf E-Bay und eigenen Internetseiten billige Hundewelpen an. Viele dieser Tiere sind krank oder verhaltensgestört. „Illegal ins Land gebrachte Hunde aus ,Hundefabriken’, meist in Osteuropa, werden hier an blauäugige Interessenten als vermeintliche ,Schnäppchen’ verkauft“, berichtet der Deutsche Tierschutzbund DTB. Häufig seien die Tiere aber krank, es fehlten notwendige Impfungen und die Welpen seien aufgrund der frühen Trennung von der Mutter nicht sozialisiert.
Besserung erhofft sich der DTB nach Artikel 108 und 109 des Tiergesundheitsgesetz. Die erlauben es der EU-Kommission, Regeln für die Registrierung und Kennzeichnung von Haustieren festzulegen.
Auch der österreichische Zweig der Tierschutzorganisation „4Pfoten“ lobt den Ansatz, fordert aber „eine EU-weite Kennzeichnung und Registrierung von Heimtieren in miteinander verbundenen Datenbanken“. Bisher gibt es ein solches verpflichtendes elektronisches Haustier-Register nur in Irland. Europaweit können Tierhalter*innen schon jetzt nach ihrer verlorenen Katze oder ihrem Hund suchen, indem sie unter europetnet.com die ID Nummer ihres Tiers eingeben. Dazu braucht das Tier einen entsprechenden reiskornkleinen Mikrochip.
Den Umsatz mit Haustieren beziffert PeTA allein in Deutschland auf fünf Milliarden Euro im Jahr. Wo „Tiere gehandelt und schlecht gehalten werden“ sieht PeTA-Mitarbeiter Edmund Haferbeck immer die Gefahr, dass sich Menschen mit übertragbaren Krankheiten anstecken. Als Beispiel nennt er den Handel mit lebenden Reptilien. Jede dritte Salmonelleninfektion bei Kleinkindern sei auf den Umgang mit exotischen Tieren zurückzuführen, zitiert PeTA eine Untersuchung des Robert Koch Instituts (RKI). Und: „Bis zu 70 Prozent der empfindlichen Tiere sterben bereits durch Stress, Unterversorgung oder an transportbedingten Verletzungen, bevor sie überhaupt in den Handel kommen.“
Und längst haben Sie es selbst gedacht: Tatsächlich übertragen Tiere zahlreiche Infektionskrankheiten auf Menschen. Jüngstes Beispiel solcher Zoonosen sind neben HIV (Aids-Erreger) und Ebola die Sars-COV2 Viren, die Covid-19 (Corona) verursachen.
Die Rückkehr der Seuchen
Schon deshalb legt das Tiergesundheitsgesetz den Schwerpunkt auf die Seuchenbekämpfung. Während die neuen Regeln für Haustiere erst ab 2026 gelten, verschärft die EU-Verordnung schon jetzt die Bestimmungen für „Nutztiere“ in der Landwirtschaft. Tierärzte müssen die Höfe öfter und strenger als bisher kontrollieren.
Auf der Liste der meldepflichtigen Krankheiten stehen jetzt auch multiresistente Keime, gegen die die meisten Antibiotika nicht mehr wirken. 2018 warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD vor den Folgen der ungehinderten Verbreitung antibiotika-resistenter Keime: Wenn sie sich wie bisher ausbreiteten, würden sie bis 2050 allein in Europa, Nordamerika und Australien 2,4 Millionen Menschen töten. Gegenmittel gibt es keine. Viele dieser Keime entstehen in Ställen der Massentierhaltung, wo Schweine, Rinder, Hühner oder Puten dicht gedrängt stehen. Oft bekommen hier ganze Bestände Antibiotika, wenn nur ein Tier krank geworden ist. Über das Abwasser und das Fleisch gelangen die Medikamente zum Menschen.
Trotz Tiergesundheitsgesetz – Die Tiertransporte gehen weiter.
Im vergangenen Winter irrten zwei spanische Schiffe mit mehr als 2.500 Rindern an Bord wochenlang über das Mittelmeer. Kein Hafen wollte die Schiffe einlaufen lassen. Fachleute hatten den Verdacht, die Tiere seien mit der Blauzungenkrankheit infiziert. Solche und viele weitere internationale Tiertransporte über weite Strecken dokumentieren Umweltorganisationen wie der Deutsche Tierschutzbund auf ihren Internetseiten. Aktivist*innen der Animal Welfare Foundation (Stiftung für das Tierwohl) im süddeutschen Freiburg begleiten Tiertransporte persönlich, um das Elend von Rindern, Schafen und anderen „Nutztieren“ auf Schiffen und Lastwagen zu dokumentieren. Die Berichte verderben selbst überzeugten Fleischessern den Appetit.
Ein Beispiel: 25. März 2021. Drei quälerische Monate lang befanden sich fast 1.800 Jungbullen an Bord des Tiertransportschiffs Elbeik. Knapp 200 Tiere haben den Transport nicht überlebt. Weil die überlebenden 1.600 Bullen laut tierärztlichem Untersuchungsbericht nicht mehr transportfähig sind, sollen sie alle notgetötet werden. Im Akkord versuchen die spanischen Amtsveterinäre seit heute die überlebenden Jungbullen zu beseitigen. 300 Tiere pro Tag. Entladen, um getötet und anschließend wie Müll in Containern entsorgt zu werden.
29 Stunden am Stück auf einem LKW
Seit 2007 gilt die Europäische Tiertransport-Verordnung, die solche Missstände unterbinden sollte. Tiertransporte in Staaten jenseits der EU sind bei mehr als 30 Grad im Schatten verboten. Jungtiere dürfen bis zu 18 Stunden, Schweine und Pferde bis zu 24 und Rinder bis zu 29 Stunden lang transportiert werden, sofern sie danach für eine Ruhepause von 24 Stunden entladen werden. Innerhalb der Europäischen Union (EU) müssen Amtstierärzte die Transportfähigkeit der Tiere kontrollieren.
„Die meisten Transporteure halten sich nicht an die Vorschriften“, berichtet Frigga Wirths. Die Tierärztin und Agrarwissenschaftlerin beschäftigt sich für den Deutschen Tierschutzbund mit dem Thema. Eine Überprüfung an der bulgarisch-türkischen Grenze habe ergeben, dass zwischen Sommer 2017 und Sommer 2018 von 210 Tiertransporten 184 bei mehr als 30 Grad Hitze stattgefunden hätten.
Die EU-Verordnung sei 2005 ein Kompromiss gewesen. Sie legt nur die Regeln fest, auf die sich die EU-Staaten einigen konnten. Seitdem wird immer wieder über Verschärfungen diskutiert. Auch derzeit beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss der Europäischen Kommission damit, aber seit 15 Jahren kommt man nicht vom Fleck.
Kälber, die keiner will
Die Probleme liegen tiefer: Die EU zählt zu den größten Milchproduzenten weltweit. Damit moderne Hochleistungskühe möglichst viel Milch geben, müssen sie ungefähr jedes Jahr ein Kalb gebären. Nur etwa ein Drittel der in Europa geborenen Rinder bleiben am Leben, um später ihre Mütter im Melkstand zu ersetzen. Der Rest wird meist geschlachtet oder exportiert. Weil Europa zu viel Fleisch produziert, fallen die Preise. Nach Angaben der Animal Welfare Foundation bringt ein Kalb je nach Rasse, Geschlecht und Land zwischen acht und 150 Euro. Los wird man die Tiere in weit entfernten Ländern.
Nach der EU-Tiertransport-Verordnung dürfen selbst zehn Tage junge Kälber schon acht Stunden am Stück transportiert werden, obwohl sie für ihre Ernährung noch die Milch ihrer Mütter benötigen. Unterwegs bekommen sie diese natürlich nicht.
Transporte bis nach Zentralasien
Tiertransporte gehen nach Nordafrika, in den Nahen Osten und bis nach Zentralasien. LKW fahren die Rinder durch Russland nach Kasachstan oder Usbekistan. Nach europäischem Recht müssten die Spediteure die Tiere unterwegs abladen und versorgen. Doch die dafür vorgesehenen Stationen existieren oft nur auf dem Papier. Die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin besuchte im Sommer 2019 angebliche Ablade- und Versorgungsstellen in Russland. Die Papiere eines Transports wiesen eine solche im Ort Medyn aus. „Da stand ein Bürogebäude“, berichtet Martin im Deutschlandfunk. „Da ist mit Sicherheit noch nie ein Tier abgeladen worden.“ Ähnliche Erfahrungen machte sie an anderen angeblichen Versorgungsstationen. Die deutsche Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich um Tiertransporte kümmern sollte, ist dem Bericht im Deutschlandfunk zufolge „seit 2009 nicht mehr zusammen gekommen“. Der Bericht von Madelaine Martin über die Situation in Russland „wurde bislang ignoriert“.
Auch in der EU geht es den Tieren auf den Transporten nicht viel besser. „Lastwagen voller lebender Tiere stehen tagelang an Grenzen und Fährhäfen“, berichtet Frigga Wirths vom Tierschutzbund. Viele Spediteure setzten billige, osteuropäische Fahrer ein und packten ihre Lastwagen so voll wie möglich. Um das Gewicht der Ladung zu reduzieren, nehmen sie zu wenig Wasser und Futter mit. Kontrollen gäbe es kaum.
Trotz Tiergesundheitsgesetz: 90 Stunden nach Marokko
Anfang Mai berichteten mehrere Medien über einen Tiertransport über 3.000 Kilometer von Deutschland nach Marokko. Die Reise dauerte mehr als 90 Stunden. Grund für den Transport war angeblich, dass man dort die Bullen für den Aufbau einer Zuchtstation brauche.
Dass Marokko eine Milchwirtschaft aufbauen wolle, glaubt der Tierschutzbund nicht. Auch Hessens Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin fragt, warum man nicht statt lebender Tiere Fleisch oder Bullensperma ausführt. Ihre Antwort: „Die Exporte werden gemacht, weil unsere Landwirtschaft die Tiere loswerden muss, weil wir seit vielen, vielen Jahren – gelenkt durch die Politik – eine Weltmarkt-Agrarpolitik haben.“ Das sieht Tierärztin Frigga Wirths ebenso. Außerdem sei es tatsächlich billiger, lebende Tiere nach Nordafrika oder Zentralasien zu karren, als gefrorenes Fleisch über die langen Strecken zu transportieren.
Ministerin fordert Verbote
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast hat in diesem Frühjahr versucht, einen Transport von 270 trächtigen Rindern nach Marokko zu verbieten. Ihre Begründung: Die deutschen Tierschutzstandards könnten in der Hitze Nordafrikas und bei den dortigen technischen Bedingungen nicht eingehalten werden. Doch das Verwaltungsgericht Oldenburg hob das Verbot auf. Die Ministerin „bedauert“ diese Entscheidung und fordert wie der Tierschutzbund und Animal Welfare „ein bundesweites Verbot der Beförderung von Tieren in Drittstaaten, in denen die Einhaltung des Tierschutzes nicht gewährleistet ist – je zügiger, desto besser!“
Tatsächlich kommt ein Rechtsgutachten im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen zu dem Schluss, dass der deutsche Gesetzgeber Tiertransporte in Nicht-EU-Staaten verbieten könne, wenn dort die Standards des deutschen Tierschutzgesetzes nicht eingehalten würden.
Lösung: Eine vegane Gesellschaft
Auch angesichts der beherrschenden Klimakrise sieht nicht nur der Tierschutzbund eine einfachere Lösung: „Wir werden eine vegane Gesellschaft.“ Immerhin kommt rund ein Fünftel bis ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft und davon ein sehr großer Teil aus der Tierhaltung. Auf mehr als 70 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche bauen die Landwirte Tierfutter an.
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