Crowdfarming ist keine Anbaumethode, kann die Landwirtschaft aber am Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Fairness unterstützen. Wir haben uns gefragt, warum Crowdfarming die Welt aber nicht retten wird und wann es Sinn macht.
Industrielle Landwirtschaft genießt nicht den besten Ruf. Massentierhaltung, Pestizidbelastung und Billigstlöhne führen zu einem Umdenken. Das Interesse für nachhaltig und fair produzierte Lebensmittel steigt. Das Angebot wächst.
Die Missstände in der Landwirtschaft resultieren nach Meinung vieler Kleinbauern und Landwirtinnen vor allem aus der Anonymität großer Produzentinnen und den langen, oft undurchsichtigen Lieferketten. Das Preisdumping der Supermärkte macht die Lage nicht besser. Die beste Lösung, raus aus dem Teufelskreis aus Ausbeutung und Umweltzerstörung, scheint da die Direktvermarktung. Durch den direkten Kontakt zwischen Produzentinnen und Konsumentin bleibt die Herkunft transparent. Wir wissen, wo die Hühner aus dem Nachbarort zu Hause sind, wenn wir frische Eier vom Wochenmarkt holen und können nachvollziehen, wer die Salat-Ernte am Feld gegenüber einholt. Die Landwirtinnen sind unabhängig von Zwischenhandel und Großkonzernen und können ihre Preise selbst gestalten.
Den Marktzwängen entkommen
So weit, so gut. Doch Orangen, Oliven, Pistazien und Co. lassen sich in Mitteleuropa nicht so einfach kostendeckend und nachhaltig anbauen. Zwei spanische Orangenbauern haben deshalb unter dem Titel „Crowdfarming“ eine Vermarktungsplattform für Kleinbauern und Biolandwirtinnen entwickelt, die damit nachhaltig und fair produzierte Ware international direkt an die Haushalte verkaufen können. Das Konzept sieht vor, dass die Abnehmerinnen einen Orangenbaum, Bienenstock etc. „adoptieren“. Für eine Patenschaft bekommt man dann beispielsweise jedes Jahr die komplette Ernte des adoptierten Baums.
„Crowdfarming setzt auf transparente Lieferketten, verzichtet auf am konventionellen Markt geforderte (vermeintliche) Schönheitsstandards und setzt damit schon am Feld oder am Baum bei der Lebensmittelverschwendung an“, sagt die Landwirtschaftssprecherin von Global 2000, Brigitte Reisenberger. Ein großer Vorteil für die Landwirte ist die gute Planbarkeit, die Überproduktion verhindert. „Allerdings kann es trotzdem zu Überfluss im Erntezeitraum kommen. Der Aufwand für den Versand scheint außerdem sehr hoch. Meiner Meinung nach machen Food Coops, also Einkaufsgemeinschaften, mehr Sinn – wobei ja auch im Rahmen von Crowdfarming Lebensmittelkooperativen möglich wären“, so Franziskus Forster, Referent für Öffentlichkeitsarbeit der Österreichischen Berg- und Kleinbäuerinnen Vereinigung – Via Campesina Austria (ÖBV).
„Grundsätzlich ist Crowdfarming als Baustein für eine Demokratisierung der Lebensmittelversorgung positiv und Direktvermarktung sinnvoll. Ich glaube aber nicht, dass Crowdfarming die Probleme in der Landwirtschaft lösen wird oder den Supermarkt ersetzten kann“, meint er und verweist auf das Projekt „MILA“ – ein „Mitmach-Supermarkt“, der genossenschaftlich organisiert ist und sich derzeit in Wien in der Gründungsphase befindet. Gemeinsam mit solchen Alternativen, verschiedenen Formen von Direktvermarktung und Initiativen, wie Food Coops, hätten Konsumentinnen und Bäuerinnen mehr Mitsprache, Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit.
Schattenseiten von Crowdfarming
Zu bedenken ist, dass die Produkte, die auf Crowdfarming-Plattformen angeboten werden, keiner eigenen Kontrolle unterliegen. Bio-Zertifikate oder Ökosiegel müssen die Produzentinnen bei den jeweils zuständigen Stellen beantragen. Für die Einhaltung aller Vorgaben und wahrheitsgemäßen Angaben sind die Landwirte selbst verantwortlich. Für hohe Transparenz sorgen nicht offizielle Kontrollorgane oder Vorgaben von Handelspartnern, sondern die Crowd. So werben die Betreiber der Plattform mit der offenen und direkten Kommunikation zwischen Landwirtinnen und Patinnen. Online können Felder per Videostream beobachtet werden, das adoptierte Schaf und Lieferant der Wollvorräte wird regelmäßig fotografisch in Szene gesetzt und gekonntes Storytelling erzählt den Fortschritt der Jahreszeiten. Viele Betriebe bieten auch die Möglichkeit, sein „Patenkind“ vor Ort zu besuchen.
Reisenberger: „Für Konsumentinnen, die ab und an gerne Früchte oder Obst essen, das klimatisch bedingt nicht in Österreich wächst, ist Crowdfarming eine sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Supermarkt.“ Mittlerweile bieten einige Produzentinnen zusätzlich zur Patenschaft auch einzelne Körbe zum Kauf an. „Großbestellungen machen ökologisch besonders Sinn, wenn sich Konsumentinnen im Bestellverfahren zusammenschließen, wie es einige Food Coops bereits tun. Bei regionalen Lebensmitteln, wie Äpfeln oder Kürbissen, ist es aber deutlich sinnvoller, direkt bei heimischen Produzentinnen saisonal zu kaufen“, meint Reisenberger.
Forster sagt abschließend: „Möglichkeiten, die Kontrolle auf den Hof zurückzuholen und dem Wachstumsdruck zu entgehen, können nur in Allianz mit den Bürgerinnen funktionieren. Crowdfarming ist keine ganz neue Idee. Patenschaften für Pflanzen und Tiere im Tausch für die Endprodukte gab es schon vorher. Problematisch sehe ich vor allem die individuellen Patenschaften mit vielen internationalen Bestellungen und den damit verbundenen Transport der Produkte. Ich denke, wir müssen insgesamt aus der Individualisierung ausbrechen und wieder solidarische Gemeinschaften bilden, uns von der Hochleistungsstrategie abkehren und Kreislaufprinzipien forcieren. Nur so werden wir die Tretmühle des Wachsens und Weichens hinter uns lassen.“
INFO:
Hinter dem Begriff „Crowdfarming“ steht eine Online-Plattform, die den direkten Kontakt zwischen Bauern/Landwirtinnen und Konsument*innen fördert. Gegründet haben die Plattform die spanischen Orangenbauer und Brüder Gabriel und Gonzalo Úrculo. Die Produkte stammen aus verschiedenen europäischen Ländern, Kolumbien und den Philippinen. Wer keine Patenschaft eingehen will, kann mittlerweile auch einzelne Produkte bestellen.
Video „Was ist Crowdfarming“: https://youtu.be/FGCUmKVeHkQ
Tipp: Mündige Konsument*innen achten immer auf die Herkunft von Lebensmitteln. Wer eine kleinstrukturierte Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion unterstützen will, findet zum Beispiel im Onlineshop www.mehrgenuss.com mediterrane Delikatessen von ausgewählten, kleinen Manufakturen.
Foto/Video: Shutterstock.